Collage der drei ältesten Abbildungen Dorfprozeltens: Pfinzingkarte 1562/94 (rechts), Wertheimer Geleitkarte 1593 (Mitte), Rüd von Collenberg'sche Jagdgrenzkarte 1612 (links). Bearbeitung: LAG Main4Eck
Dorfprozelten 1895 aus Richtung Südwesten vom anderen Mainufer aus fotografiert. Quelle: Veh 1995, S. 62
Die Grundrisspläne der zweiten Vituskirche: Urkataster 1844 (rechts) und Planskizze 1901/02 (links). Quellen: Bayerische Vermessungsverwaltung und Veh 1995, S. 61
Organist Karl Hörnig um 1890/1900 auf dem hinteren Seiteneingang zur Orgelempore. Quelle: Veh 1995, S. 133
Das Sakramentshäuschen (Tabernakel) aus dem 15. Jahrhundert ist mit spätgotischen geschweiften Spitzbögen, sog. Kielbögen, verziert. In ihm wurden zu Sakramenten gewandelte Hostien und Wein aufbewahrt. Foto: LAG Main4Eck
Die 'Maria mit dem Kind' und der Hl. Sebastian, beide aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, sind hervorragende Kunstwerke ihrer Zeit. Fotos: LAG Main4Eck
"ANNO 1625 HAT MATTHEVS MENCH BVRGER ZU FREVDENBERG DIESEN TAVFSTEIN GOT ZV EREN UND GEDECHNIS AVFGERICHTET" lautet die Inschrift des Taufsteins. Quelle: Veh 1995, S. 70
Collage der drei ältesten Abbildungen Dorfprozeltens: Pfinzingkarte 1562/94 (rechts), Wertheimer Geleitkarte 1593 (Mitte), Rüd von Collenberg'sche Jagdgrenzkarte 1612 (links). Bearbeitung: LAG Main4Eck
Dorfprozelten 1895 aus Richtung Südwesten vom anderen Mainufer aus fotografiert. Quelle: Veh 1995, S. 62
Die Grundrisspläne der zweiten Vituskirche: Urkataster 1844 (rechts) und Planskizze 1901/02 (links). Quellen: Bayerische Vermessungsverwaltung und Veh 1995, S. 61
Organist Karl Hörnig um 1890/1900 auf dem hinteren Seiteneingang zur Orgelempore. Quelle: Veh 1995, S. 133
Das Sakramentshäuschen (Tabernakel) aus dem 15. Jahrhundert ist mit spätgotischen geschweiften Spitzbögen, sog. Kielbögen, verziert. In ihm wurden zu Sakramenten gewandelte Hostien und Wein aufbewahrt. Foto: LAG Main4Eck
Die 'Maria mit dem Kind' und der Hl. Sebastian, beide aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, sind hervorragende Kunstwerke ihrer Zeit. Fotos: LAG Main4Eck
"ANNO 1625 HAT MATTHEVS MENCH BVRGER ZU FREVDENBERG DIESEN TAVFSTEIN GOT ZV EREN UND GEDECHNIS AVFGERICHTET" lautet die Inschrift des Taufsteins. Quelle: Veh 1995, S. 70

Pfarrkirche Dorfprozelten

Eine Kirche in Dorfprozelten ist bis in die Zeit um 1200, wahrscheinlich sogar bis ins Jahr 1009 in Schriftquellen zurückzuverfolgen. Sie stand rund 50 m südwestlich der heutigen, neoromanischen Pfarrkirche St. Vitus, dort wo sich jetzt das neue Rathaus befindet (Schulgasse 2). Die aus den 1680er Jahren stammende Nachfolgerin dieser hochmittelalterlichen Kirche wurde 1901/02, unmittelbar nach der Einweihung der neugebauten Pfarrkirche, abgerissen. Zahlreiche Relikte der älteren Kirchen wurden dabei in den Neubau überführt.

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Die Kirchengründung

Angeblich wurde die erste Kirche in 'Brotselden' im Jahre 1009 vom Mainzer Erzbischof Willigis gemeinsam mit den Bischöfen von Worms, Speyer, Halberstadt und Paderborn geweiht. Doch die Urkunde, aus der dies hervorgeht, stammt erst aus dem 14. Jahrhundert und enthält einige grobe inhaltliche Fehler, sodass der Verdacht der Fälschung im Raum steht. Es ist jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass es sich vielleicht 'nur' um die schlechte Abschrift einer originalen Urkunde handelt. Leider lässt sich auch der Gründungszeitraum des Ortes bislang nicht klar fassen, weder historisch noch archäologisch. Die Namensform '-selde' wie auch das Vituspatrozinium deuten jedenfalls auf hochmittelalterlichen (ca. 900-1250 n.Chr.) Ursprung hin. Der Hl. Vitus dürfte von Beginn an (einer) der Kirchenpatron(en) gewesen sein, ist allerdings erst ab 1337 bezeugt. Wahrscheinlich wurde das Gotteshaus nicht als eigenständige Pfarrkirche gegründet, sondern als Filialkirche einer bestehenden Pfarrei - wohl St. Martin in Bürgstadt.

Erst 1214 sind sowohl der Ort als auch die Kirche sicher belegt: 'Sifrid, plebanus de Batselde' (Siegfried, Pfarrer zu Prozelten) bezeugt eine zwischen den Äbten von Seligenstadt und Bronnbach ausgestellte Urkunde. Dieser Siegfried und der Ritter 'Rupertus de Bratselden' treten in demselben Jahr als Zeugen in einer weiteren Urkunde auf. Um 1200 war Dorfprozelten folglich bereits eine eigenständige Pfarrei. Ein 'Tiemonis de Bratseleden' (Timo von Prozelten) erscheint bereits 1127 und 1150 in Schriftquellen. Ob er aus Dorf- oder Stadtprozelten kommt, ist jedoch nicht ganz klar und für die Historie von St. Vitus auch nicht relevant.

St. Vitus I

Im Spätmittelalter verdichten sich die Quellen zur Vituskirche:

  • 1258 stiftet Schenk Walther von Clingenberg und Prozelten der Kirche einen Muttergottesaltar, welcher von Bischof Theoderich von Verona geweiht wird.
  • 1320 verkaufen Graf Konrad von Vehingen und seine Frau Elisabeth das Patronatsrecht an den Kirchen in Nidern(Dorf-)prozelten und Faulbach an den Deutschen Orden (Ballei Franken) und dessen Kommende in Stadtprozelten
  • 1323 wird Stadtprozelten als eigenständige Pfarrei aus dem Kirchensprengel herausgelöst. Bei Dorfprozelten verbleiben die Filialkirche in Altenbuch sowie der Lufthof, die Wildeseer Höfe und zweitweise Hundsrückhof und Tremhof.
  • 1337 wird den vier Altären in Dorfprozelten (Vitus, Maria Muttergottes, Johannes der Täufer und Katharina) ein Ablass von je 40 Tagen gewährt. Das heißt Gläubigen, die vor einem der Altäre zum Gebet erscheinen, werden von der 'Strafzeit' ihrer Seele im Fegefeuer, die sie für die Sünden zu Lebzeiten zu erwarten haben, 40 Tage erlassen. Der Hl. Vitus ist in der Ablassverleihung erstmals als Kirchenpatron genannt.
  • nach Sifrid (1214) sind die nächsten Ortspfarrer 1458 (Johannes Smyeden - gleichzeitig Kaplan an der Burgkapelle in Freudenberg und der Michaelskapelle in Kirschfurt), 1494 (Petrus) und 1514 (Laurentius Pistor) in Quellen genannt. Eine lückenlose Abfolge der hiesigen Priester ist ab 1541 vorhanden.

Ab dem 16. Jahrhundert existiert eine reichhaltige Schriftüberlieferung zu Kirche, Pfarrei und Gemeinde. Wichtige Ereignisse und Entwicklungen sind:

  • 1612 lässt Pfarrer Paulus Happ ein neues Pfarrhaus errichtet, das wohl den Grundstock des heutigen Pfarrhauses bildete. In dessen Umfassungsmauer findet sich der alte Grundstein. Seine Inschrift "P P H F F 1612" (Parochus Paulus Happ Fundamentum Fecit 1612) erinnert an das Bauvorhaben.
  • Ab 1615 wird mit dem 'Zinßbuch deß löblichen Gotteshaußes' ein fortlaufendes Rechnungsbuch der Pfarrei geführt, welches auch verschiedene Renovierungen und Umbauten im Gotteshaus aufführt. Seit 1624 wird die Kirche darin regelmäßig als "uralt" bezeichnet.
  • 1625 stiftet Mattheus Meng aus Freudenberg einen neuen (heute noch vorhandenen) Taufstein und eine neue Außenkanzel für den Kirchhof.
  • 1653 wird durch Pfarrer Johann Otto Frasius die Sebastiani-Bruderschaft gegründet, welche bis ins 20. Jahrhundert hinein bestand. In diesem Kontext ist erstmals der Sebastiani-Altar bezeugt. Sie hatte zum Ziel, die zu diesem Zeitpunkt bereits populäre Verehrung des Hl. Sebastian vor Ort zu bestärken, um dadurch die Reformation zu bekämpfen, die Rekatholisierung zu unterstützen und Frieden zu wahren sowie Krankheiten abzuwenden. Der gegen Pest und Seuchen angerufene Märtyrer, zudem Schutzpatron der Steinmetze, dominierte die religiöse Praxis in Dorfprozelten im 17. Jahrhundert und verdrängte die anderen Kirchenpatrone, Vitus und Maria, aus der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Architektur

Die ältesten Abbildungen Dorfpozeltens inklusive Vituskirche stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, und zwar aus drei historischen Karten von 1562, 1593 und 1612. Solche Kartendarstellungen hatten nicht die detailgetreue Wiedergabe von Ortsansichten oder Topographie zum Zweck, sondern wurden in der Regel im Kontext juristischer Konflikte zur Dokumentation bestehender Besitzrechte, Infrastruktur, Grenzverläufe und anderem in Auftrag gegeben. Deshalb sind sie für die Rekonstruktion einzelner Gebäude nur bedingt geeignet. Dennoch haben die Zeichner immer wieder auch bauliche Details berücksichtigt, die auf Konstruktionsweise, Material und/oder Zierelemente schließen lassen.

Obwohl sich die Darstellungen von 1593 und 1612 stark ähneln, schließen die zusätzlichen Details im jüngeren Werk aus, dass es sich um eine plumpe Kopie des älteren handelt. Somit dürften die beiden unabhängigen Quellen ein relitätsnahes Bild der ersten Vituskirche um 1600 zeichnen, also eines bereits 500 oder mehr Jahre alten Gebäudes, das schon mehrere Renovierungen und Umbauten erlebt hat.

Das Kirchengebäude lässt sich auf dieser Grundlage als steinerne, hell verputzte Saalkirche (einschiffig) charakterisieren. Angesichts der relativ kleinen und hoch liegenden Langhausfenster dürfte sie von romanischen Bauformen geprägt gewesen sein - passend zu einem im 11. oder 12. Jahrhundert gegründeten Baukörper. Der Chorbereich war wohl nicht eingezogen, besaß also die gleiche Höhe und Breite wie das Schiff. Das ziegelgedeckte Satteldach besaß wohl Gauben. Ein großes Bogenfenster auf der Westseite, darüber Oculus im Giebel. Wenigstens seit der Renaissance waren die Mauerecken wohl durch rot abgesetzte Eckquaderung betont. Der Turm steht an der Nordseite des Chorbereichs und trägt einen pyramidalen Spitzhelm, Dachhaut fraglich. Im Obergeschoss reichliche Durchfensterung, vermutlich Schallöffnungen der Glockenstube, darunter allenfalls einzelne Lichtschlitze.

Über die Größe des Gebäudes sind keine sicheren Aussagen möglich. Die historischen Abbildungen sind hier aufgrund perspektivischer und proportionaler Schwächen wenig hilfreich, insbesondere die Turmhöhen scheinen hier überdimensioniert zu sein. Lediglich von der besser bekannten zweiten Kirche von 1680/90 kann auf einzelne Bauteile der ersten rückgeschlossen werden: Der Turm und vermutlich auch der Chor wurden beim Neubau zu großen Teilen unverändert übernommen wurden. Daraus lässt sich die Höhe des im Grundriss 5m x 5m messenden Turmschafts auf ca. drei Geschoss schätzen, denn er wurde beim Neubau auf rund vier Geschosse erhöht. Die im Urkataster 1844 verzeichnete Breite des Chors (nur ca. fünf Meter - exkl. Turmquadrat) dürfte auch der Breite des Kirchenschiffs entsprechen. Unter Umständen kragte dieses auch nach Norden aus. Das auf der Fotografie von 1895 sichtbare, vermeintlich spitzbogige Maßwerkfenster auf der Südseite des Chors, dürfte bei einer Renovierung im Spätmittelalter eingebaut worden sein. Auch der halbrunde (apsidiale) Abschluss des Chors, wie er im Urkataster 1844 eingetragen ist, kann als Relikt der ersten Kirche angesehen werden. Außer diesem Grundriss liegen aber keine weiteren Informationen dazu vor.

Insgesamt besaß St. Vitus I etwas geringere Dimensionen als St. Vitus II. Bei einer in Nutzung befindlichen Kirche war es üblich, ein neues Schiff um das bestehende herum zu errichten und den Altbau in der Mitte erst vor dem Aufschlagen des Dachstuhls abzureißen. So ließ sich die 'Ausfallzeit' minimieren. Da sich der Neubau der Vituskirche von den frühen 1680er Jahren an rund ein Jahrzehnt bis 1692 zog, ist auch hier von dieser Praxis auszugehen. Denn eine zehnjährige Auslagerung des Messbetriebs einer Pfarrkirche in ein provisorisches Ausweichquartier hätte sich unweigerlich mittels Beschwerden, Klagen, Fürbitten und anderem in den örtlichen oder sogar diözesanen Archiven niederschlagen müssen. Folglich kann St. Vitus I nicht länger als 24 Meter und nicht breiter als 8 Meter (exklusive Turm) gewesen sein. Geringere Dimensionen (bspw. 18m x 6m) sind durchaus denkbar.

St. Vitus in den drei Karten:

  • Spessartkarte des Paul Pfinzing 1562 (publiziert 1594): Bis auf wenige Ausnahmen sind die Dörfer, Städte und anderen Siedlungen in ihr durch unspezifische, signaturartige 'Icons' dargestellt, so auch im Fall Dorfprozeltens. Informationen zu Details der Siedlungen oder gar einzelnen Gebäude lassen sich hiervon in der Regel nicht ableiten.
  • Wertheimer Geleitkarte 1593: Die durchaus realitätsnahe Datrstellungsweise einzelner Gebäude, insbesondere der Kirche, lässt Rückschlüsse einige Architekturdetails zu. St. Vitus hat ein hell verputztes Kirchenschiff mit ziegelgedecktem Satteldach. Es scheint relativ kleine und hoch liegende Fenster zu geben. Zwischen Langhaus und Chor ist kein Höhenunterschied oder Mauerversprung auszumachen. Dafür fällt der seitlich neben dem Chor stehende, ebenfalls verputzte Turm auf. Er scheint zwei Stockwerke über den First des Kirchenschiffs hinauszuragen und besitzt einen hohen und spitzen, offenbar schiefergedeckten Turmhelm. Sein oberstes Geschoss besitzt ein Fensterpaar, darunter nur ein einzelner Lichtschlitz.
  • Rüd von Collenberg'sche Jagdgrenzkarte 1612: Stilistisch ganz ähnlich wie die Geleitkarte 1593 weist dieses Werk insgesamt einen deutlich höheren Detailreichtum auf. Auch an der Vituskirche lassen sich weitere Einzelheiten erkennen. Die hell bzw. weiß verputzte Kirche besitzt rote, evtl. nur aufgemalte Eckquaderung. In ihrem ziegelgedeckten Satteldach sind kleine Gauben in zwei Reihen angedeutet. Die (westliche) Stirnwand besitzt mittig ein großes Bogenfenster und einen runden Oculus im Giebelbereich. Die Seitenwände scheinen über deutlich kleinere, hochgelegene Fenster zu verfügen. Der ebenfalls seitlich stehende und verputzte Turm ragt ein bis zwei Stockwerke über den First des Langhauses hinaus und besitzt im obersten Geschoss auf der Westseite ein Fensterpaar, auf der dem Chor zugewandten Südseite nur ein einzelnes Fenster. Darunter sind keine weiteren Öffnungen angedeutet. Der (nicht ganz so) spitze, pyramidenförmige Turmhelm ist mit Ziegeln (statt Schiefer) gedeckt. Hierin unterscheidet er sich von dem der Geleitkarte 1593. Da beide Künstler in ihren Karten sehr wohl zwischen Ziegel-, Schiefer- und Rohrdächern unterscheiden und es unwahrscheinlich ist, dass zwischen 1593 und 1612 der Kirchturm neu eingedeckt wurde, liegt hier wahrscheinlich ein Illustrationsfehler vor. Auch in den Darstellungen anderer Kirchen in den Nachbardörfern gibt es - mitunter wesentlich größere - Unterschiede zwischen den beiden Karten, doch leider ist nicht klar, welche die genauere Quelle ist.

St. Vitus II

Zwischen 1680 und 1690 wurde unter Pfarrer Matthias Göttert eine neue Kirche an derselben Stelle wie ihre Vorgängerin errichtet - auf eigene Kosten der Pfarrei. Die Schultheißen Johann Arnold I. und Johann Paulus Arnold II. fungierten als Baumeister. Es war allerdings kein kommpletter Neubau, sondern das bestehende Gebäude wurde erweitert und der Turm erhöht. Sie erhielt drei neue Altäre, die 1692 vom Mainzer Weihbischof Matthias Starck geweiht wurden:

  • der Hochaltar den Märtyrern Vitus, Modestus und Crescentia
  • der rechte Seitenaltar der Maria Muttergottes sowie den Heiligen Anna und Joachim
  • der linke Seitenaltar den Märtyrern Sebastian und Urban.

Offizieller Name der Kirche war seitdem 'Das löbliche Gotteshauß St. Viti, Modesti et Crescentiae et Sebastiani martyrum'. Die Fertigstellung und Ausgestaltung der Altäre zog sich etappenweise noch bis 1730 hin.

150 Jahre später, Ende des 19. Jahrhunderts, befand sich diese Kirche bereits wieder in einem schlechten Zustand, sodass über Neubau und Renovierung debattiert wurde. Die testamentarische Stiftung des Pfarrers Philipp Staub (gestorben 1879), die eigentlich der Unterstützung von Schülern/Studenten dienen sollte, bildete - zweckentfremdet - den finanziellen Grundstock für die neue Kirche. Diese wurde 1899-1901 auf der gegenüberliegenden Straßenseite neben dem Pfarrhaus im neoromanischen Stil errichtet (St. Vitus III). Direkt nach ihrer Einweihung wurde die alte Kirche dann 1901/02 für den Neubau des Schulhauses abgerissen.

Architektur

Glücklicherweise geben uns zwei Fotografien und ein Lageplan, die zwischen 1890 und 1901, also kurz vor ihrem Abriss angefertigt wurden, eine deutlich genauere Vorstellung von der zweiten Kirche. Hinzu kommt das Bayerische Urkataster, welches in Dorfprozelten 1844 angefertigt wurde.

St. Vitus II bestand aus einem Hauptschiff, einem im Süden um rund einen Meter eingezogenen rechteckigen Chor mit halbrundem Abschluss - offenbar also eine Apsis - und dem nördlich an den Chor anschließenden Turm auf quadratischer Grundfläche von rund fünf Meter Seitenlänge. Die gesamte Kirche hatte eine Länge von ca. 24,50 m, wobei rund 17,50 m auf das Hauptschiff entfielen, welches als breitestes Bauteil etwa 9,50 m maß. Lediglich der Turm kragte nach Norden über die Flucht des Schiffs hinaus.

Im Aufgehenden stellt sich das Gebäude ähnlich schlicht dar wie sein Vorgänger: Das Hauptschiff war längs in drei Fensterachsen mit hohen rundbogigen Maßwerkfenstern untergliedert. An der Stelle des nordwestlichen Fensters befand sich ein überdachter Eingang mit Außentreppe. Der Kirchenraum verfügte folglich über eine Empore für die Orgel. In der westlichen Giebelwand gab es keine Fenster und laut Urkataster wahrscheinlich auch keine Tür. Der Hauptzugang befand sich demnach in der Mitte der nördlichen Langhauswand. In der Südwand des Chors saß ein großes, scheinbar spitzbogiges Maßwerkfenster. Zur Gestaltung der Apsis liegen leider keine Informationen vor.

Kirchenschiff und Chor trugen ein gemeinsames Satteldach mit Bieberschwanzdeckung und durchgängigem First - also kein Höhenunterschied zwischen Chor und Schiff. Die überkragenden Dachtraufen lagen auf gestuften und/oder s-förmig geschwungenen Gesimsen. Der obere Abschluss des Turmschafts wurde durch ein ganz ähnliches - oder identisches - Sims gebildet. Darauf erhob sich der schiefergedeckte Turmhelm in Form einer sogenannten 'Echter-Nadel': Ein flacher Traufbereich leitete vom quadratischen Turmgrundriss zum achteckigen, sehr steilen (nadelförmigen) Helm über. An der Spitze saß eine Turmkugel, das darauf anzunehmende Kreuz ist in der Fotografie von 1895 aber nicht erkennbar. Die Traufe des Kirchturms war nur wenig höher als der Dachfirst von Schiff und Chor, das entspricht schätzungsweise vier Geschossen.

Relikte

In der bestehenden neoromanischen Vituskirche (St. Vitus III) finden sich zahlreiche Ausstattungsgegenstände, die noch aus ihren Vorgängerkirchen stammen. Insbesondere aus dem 15. Jahrhundert (Spätgotik) und dem 17. Jahrhundert (Spätrenaissance/Frühbarock) haben sich Relikte erhalten:

  • Das spätgotische Sakramentshäuschen aus Sandstein von ca. 1450 ist im Chorraum der Kirche eingemauert.
  • Das Muttergottesbildnis 'Maria mit dem Kind' am rechten Vierungspfeiler im Mittelschiff datiert um 1480.
  • Die Figur des Hl. Sebastian am linken Vierungspfeiler wurde um 1490 vermutlich in der Werkstatt Tilman Riemenschneiders gefertigt. Sie bezeugt die jahrhundertealte Tradition der Sebastiani-Verehrung in Dorfprozelten.
  • Die Dofpozeltener Evangelisten-Glocke wurde laut ihrer Aufschrift 1494 von Bernhard Lachmann gegossen. Sie läutete also sicher bereits in der ersten Vituskirche. Heute ist sie mit 72 cm Durchmesser bei 250 kg Gewicht die kleinste der fünf Glocken im Kirchturm von St. Vitus III und schlägt mit dem Ton d'. 1764 wird sie in einer Beschreibung der Kirche (St. Vitus II) zusammen mit zwei anderen Glocken, von denen eine St. Vitus und St. Sebastian geweiht war, aufgeführt.  
  • Ein 12-armiger Messingleuchter mit bekrönender Strahlenkranzmadonna wurde höchstwahrscheinlich von Hans Klanbacht zwischen 1615 und 1625 gefertigt. Er schuf einen sehr ähnlichen, in Einzelteilen sogar identischen Kronleuchter 1625 für die Freudenberger Kirche. Heute hängt der Leuchter vor dem Muttergottesaltar im rechten Seitenschiff.
  • Der im Eingangsbereich der heutigen Kirche aufgestellte Taufstein wurde 1625 aus einem einzigen Sandsteinblock gearbeitet. Er ist eine Spende des Freudenberger Bürgers Mattheus Meng, der in demselben Jahr auch noch eine neue Außenkanzel stiftete.
  • In der Außenmauer der Kirche sind mehrere Epitaphe aus der Zeit zwischen 1610 und 1710 eingebettet. Sie befanden sich ursprünglich im Kirchhof von St. Vitus I und II, dem ehemaligen Friedhof, und erinnerten an hier Bestattete.

Literatur und Links

Adolf Feulner: Dorfprozelten.
In: Felix Mader (Hg.): Bezirksamt Marktheidenfeld. Die Kunstdenkmäler von Bayern. Regierungsbezirk Unterfranken VII, München 1913, S. 15–17.

Heimat- und Geschichtsverein Dorfprozelten (Hg.), Georg Veh (Ed.): Dorfprozelten - ein Dorf im Wandel seiner 1000 jährigen Geschichte, Dorfprozelten 1995.

Kommmission für bayerische Landesgeschichte (Hg.), Wilhelm Störmer (Ed.): Historischer Atlas von Bayern, Franken Reihe I, Heft 10: Marktheidenfeld, München 1962.
(Online: Digitale Bibliothek - Münchner Digitalisierungszentrum [28.09.2022])

Otto Schmitt: Artikel 'Ablaß'.
In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Band 1 (1933), S. 78-81.
(Online: RDK Labor, 2022 [28.09.2022])

Erhard Tremel: Chronik der Stadt Stadtprozelten - einem Städtchen des Deutschen Ritterordens, Stadtprozelten 1992, S. 64-70.

 

weiterführende Links:

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Europäischer Kulturweg "Altenbücher Kirchweg"

Heimat- und Geschichtsverein Dorfprozelten

Gemeinde Dorfprozelten