Grundmauern und rekonstruierte Palisade verleihen dem Burghügel eine ganz besondere Atmosphäre. Foto: Burglandschaft
So ähnlich stellen sich die Ausgräber die größtenteils hölzerne Burg im 12. Jahrhundert vor. Zeichnung: Christian Meyer zu Ermgassen. Quelle: Die Ketzelburg in Haibach (2006) Farb-Abb. 15
Das Digitale Geländemodell macht deutlich, wie sich die Ketzelburg in die Landschaft einfügt. Geobasisinformation: Bayerische Vermessungsverwaltung. Bearbeiter: Dr. Jürgen Jung, Spessart-GIS
Grundmauern und rekonstruierte Palisade verleihen dem Burghügel eine ganz besondere Atmosphäre. Foto: Burglandschaft
So ähnlich stellen sich die Ausgräber die größtenteils hölzerne Burg im 12. Jahrhundert vor. Zeichnung: Christian Meyer zu Ermgassen. Quelle: Die Ketzelburg in Haibach (2006) Farb-Abb. 15
Das Digitale Geländemodell macht deutlich, wie sich die Ketzelburg in die Landschaft einfügt. Geobasisinformation: Bayerische Vermessungsverwaltung. Bearbeiter: Dr. Jürgen Jung, Spessart-GIS

Ketzelburg

2 Min. Fußweg
5 Min. zur Haltestelle
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Am nördlichen Rand von Haibach ist ein hochmittelalterlicher Burgstall zu entdecken, der mit ausgegrabenen und gesicherten Grundmauern, rekonstruierter Palisade und zahlreichen Infotafeln ein eindrucksvolles Geschichtserlebnis bietet. Nach Ausweis der archäologischen Funde bestand er im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert. Die erste urkundliche Erwähnung Haibachs, 1187, fällt in denselben Zeitraum. Über seine Funktion, den Burgherren und sein Schicksal hüllt sich das Bodendenkmal allerdings in mystisches Schweigen. Ausgrabungen durch das Archäologische Spessart-Projekt 2004/05 und 2014 konnten ihm zumindest einige Geheimnisse entlocken.

Der Standort

Die Ketzelburg liegt auf einer „Schloßknickel“ genannten Kuppe, die nur durch einen kleinen Geländesattel vom westlichen Ortsteil Haibachs getrennt ist. Nach Norden, Osten und Süden fällt das Gelände deutlich steiler ab, sodass der Schloßknickel eine Spornlage bildet. In den Talsenken im Umfeld der Ketzelburg sind Lösssedimente verbreitet, die eine landwirtschaftliche Nutzung begünstigen. Löss ist ein feinkörniges und sehr fruchtbares Sediment, das sich während der letzten Eiszeit durch Windverwehung in erosionsgeschützten Lagen angesammelt hat und seit der Jungsteinzeit bevorzugt für Ackerbau genutzt wurde. Von der ehemaligen Burganlage sind abgesehen vom Burghügel selbst und einem umlaufenden Graben keine Reste mehr erhalten.

Der unregelmäßig ovale Kern der Ketzelburg misst rund 35 m auf 50 m und nimmt den gesamten Schlossknickel ein. Dessen Spitze wurde gekappt, sodass ein ebenes Burgplateau entstand, und der Abraum aus Biotitgneis im Südwesten aufplaniert, um selbiges zu vergößern. Eine der Hangkante folgende und stellenweise von einer Trockenmauer gesockelte Holzpalisade umschloss das Kernburgareal. Anders als die Rekonstruktion zeigt, bestand sie aus waagerecht an ca. 2 m weit auseinander stehenden Pfosten montierten Holzbohlen. Der Zugang erfolgte vermutlich über eine hölzerne Brücke von Südwesten her - wie heute auch. Das Tor war wohl zumindest teilweise mit steinernen Bauteilen ausgestattet. Ein gut zwei Meter eingetiefter Graben mit vorgelagertem Wall umschließt den Burghügel. Im Bereich des Geländesattels im Westen ist metallverarbeitendes Gewerbe nachgewiesen. Offenbar bestand hier eine Vorburg, in der zumindest zeitweise ein Rennofen zur Schmelze von Eisenerz betrieben wurde. Die aufgefundene Keramik erlaubt eine Datierung des Burgstalls in die zweite Hälfte des 12. und den Beginn des 13. Jahrhunderts.

Historische Überlieferung

Unmittelbare Schriftquellen zur Ketzelburg sind nicht bekannt, wahrscheinlich weil gar keine existieren. Der Burgstall wird erstmals 1540 in einer Urkunde genannt, jedoch lediglich als Orientierungspunkt zur Beschreibung eines weiter nördlich gelegenen Bergbauareals. Auch in den ältesten Karten des Spessarts ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert sucht man ihn vergeblich. Wohl aufgrund dieser fehlenden Schriftüberlieferung blühte in Haibach die Legendenbildung zur Ketzelburg. Bis vor wenigen Jahrzehnten waren selbst die Aussagen vieler Fachleute von Vermutungen und Spekulationen geprägt. Dabei ist das Bodendenkmal bereits vor über 100 Jahren halbwegs korrekt als "mittelalterliche Niederadelsburg" identifiziert worden. Diese Ansprache etablierte sich jedoch erst in den letzten Jahrzehnten. Bis vor Kurzem wiesen gängige Online-Kartendienste die Ketzelburg noch als "Keltischen Ringwall" aus. Ein Zusammenhang mit der im Spessart nachweisbaren Ministerialenfamilie von Kesselberg ist trotz der Namensähnlichkeit ausgeschlossen.

Die Bebauung

Das zentrale Element der Innenbebauung bildet ein Gebäude mit annähernd quadratischer Grundfläche von ca. 6,5 m Seitenlänge, Sockelmauern und Fachwerkaufsatz. Reste eines Kachelofens, der aus einem Obergeschoss heruntergestürzt sein muss, weisen den Bau als mehrstöckigen Wohnturm aus. Zusammen mit den aufgefundenen Alltagsgegenständen bezeugt er den gehobenen Wohnstandard auf der Ketzelburg. In einem östlich benachbarten Grubenhaus weisen Reste eines Webstuhls Textilproduktion nach. Nur knapp drei Meter westlich des Wohnturms befinden sich die Grundmauern eines größeren Gebäudes, das als geplanter Palas interpretiert wird, offenbar jedoch nie fertiggestellt worden ist. Es wird im Westen von der umlaufenden Holzpalisade begrenzt, die in diesem Bereich folglich (noch) nicht durch die Mauer des Steingebäudes ersetzt wurde.

Es ist davon auszugehen, dass die Ketzelburg über einen Zeitraum von mehreren Jahren bis wenigen Jahrzehnten bewohnt war, denn der Graben konnte sich in dieser Zeit mit so viel Sediment zusetzen, dass er wieder ausgehoben werden musste, und auch der Kachelofen im Wohnturm war wenigstens einige Jahre in Gebrauch, da er mindestens einmal repariert wurde - ablesbar an den Unterschieden der verbauten Kacheln.

Bedrohung für Aschaffenburg?

In Forscherkreisen wurde bis vor wenigen Jahren die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Ketzelburg doch in einer zeitgenössischen Schriftquelle erwähnt ist. Und zwar wird in einem 1189 oder Anfang 1190 verfassten Dokument eine "municio in portis Aschafinburc" - eine Befestigung vor den Toren Aschaffenburgs - erwähnt. Auf die in Luftlinie nur 4 km östlich der Altstadt gelegene Ketzelburg trifft diese Beschreibung in der Tat zu, auf andere Burgställe im Umfeld der Stadt aber auch. Die aktuelle Forschung tendiert dabei klar zur Burg Kugelberg bei Goldbach. Nicht nur, weil diese mit nur 3 km Entfernung und direkter Sichtverbindung noch näher "vor den Toren Aschaffenburgs" liegt, sondern auch weil die rekonstruierbaren politischen Umstände und die Grabungserkenntnisse hier besser zusammenpassen.

Die Quelle von 1189/90 ist eine Auflistung von Besitz und Einkünften, die dem Erzbistum Mainz während der zweiten Amtszeit Erzbischof Christians von Buch, also zwischen 1165 und 1183 verloren gegangen sind. Darin wurde auch vermerkt, dass in dieser Zeit neue Befestigungen errichtet worden seien, die das Erzbistum bedrängten, darunter die besagte vor Aschaffenburg. Das war erwähnenswert, weil Aschaffenburg die mit Abstand wichtigste Stadt für das Erzstift war - abgesehen von Mainz selbst natürlich. Als Erbauer wird der "Vizedom Konrad" genannt - leider ohne Herkunftsbezeichnung. Vizedom war das höchste weltliche Schutzamt des Aschaffenburger Stifts St. Peter und Alexander, vergleichbar mit dem Vogt eines Klosters. Sowohl Ketzelburg als auch Burg Kugelberg dürften nach Aussage der Grabungsfunde in dieser Zeit errichtet worden sein. Doch für den Kugelberg scheint eine gegen Aschaffenburg/Mainz gerichtete Stellung nachvollziehbarer, denn es kann eine Verbindung zum Vizedom Konrad hergestellt werden.

Der Vizedom Konrad ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Vater eines Konrad von Waldenberg. Und die Herren von Kugelberg - benannt nach ebendieser Burg - hingen familiär eng mit den Waldenbergern zusammen. Sie waren wohl eine Sippe und scheinen sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts von Mainzer Gefolgsleuten zu Oppositionellen/Konkurrenten, gewandelt zu haben. Der Kugelberg kann also mit einiger Wahrscheinlichkeit als eine Burg der Waldenberger und als Bedrohung für Aschaffenburg gelten. Zwei bis drei Generationen später, wahrscheinlich noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wurde sie zerstört - von wem und warum, ist unbekannt. Auffälligerweise verschwinden auch die Herren von Kugelberg wenig später, in den 1250er Jahren, von der historischen Bildfläche. Ihr letzter bekannter Angehöriger ist letztmals 1254 fassbar und hatte scheinbar keinen Stammhalter.

Auch wenn die aktuelle Datenlage andere Konstellationen wahrscheinlicher aussehen lässt, ist nicht endgültig auszuschließen, dass mit der "Befestigung vor den Toren Aschaffenburgs" doch die Ketzelburg gemeint ist. Sie scheint weder gewaltsam zerstört noch einfach verlassen worden zu sein, sondern planmäßig demontiert. Dieses Schicksal ist gerade im Konfliktfall nicht unüblich und wurde seit dem Hochmittelalter immer wieder als Strafe oder Kapitulationsbedingung von der Siegerseite diktiert.

Das Ende

So still und leise wie sie erbaut wurde, verschwindet die Ketzelburg nach ein bis zwei Generationen wieder von der Bildfläche - allerdings nicht durch Gewalt, Zerstörung oder Brand. Stattdessen ist von der Auflassung, wahrscheinlich sogar vom systematischen Rückbau der Ketzelburg auszugehen. Die Fundarmut, insbesondere an Metallobjekten, und der augenscheinliche Ausbau aller intakten Kacheln aus dem Ofen legen zumindest eine geordnete Ausräumung nahe. Über die Gründe kann in Abwesenheit schriftlicher Quellen nur spekuliert werden. Sowohl äußerer Druck - am ehesten durch das Erzstift Mainz - als auch innere Entwicklungen, wie Bedeutungs- und Funktionsverschiebung oder wirtschaftliche Probleme, kommen in Betracht, ohne dass eine der Möglichkeiten nach derzeitigem Wissen größeres Gewicht besitzt. Vermutlich spielen, wie so oft, mehrere Faktoren eine sich gegenseitig beeinflussende Rolle.

Literatur und Links

Manuela Beer/Gerhard Ermischer (Hg.): "Den Bogen spannen". Glanz der Romanik in Aschaffenburg, Aschaffenburg 2001.

Wolfgang Hartmann: Zur Geschichte der Spessartburgen Waldenberg und Kugelberg und ihrer Herren.
In: Aschaffenburger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Untermaingebietes 19, 1997, S. 9–53.

Harald Rosmanitz u.a.: Die Ketzelburg in Haibach. Eine archäologisch-historische Spurensuche. Veröffentlichungen des Heimat- und Geschichtsvereins Haibach-Grünmorsbach-Dörrmorsbach e.V. Band 6, Neustadt/Aisch 2006.

 

weiterführende Links:

Burglandschaft Spessart und Odenwald

Archäologisches Spessart-Projekt

Europäischer Kulturweg "Ritter, Fürst & Wellekipper"

Publikationen Wolfgang Hartmann

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Gemeinde Haibach

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